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Man steht vor verschlossener Tür, nur damit Dritte sich wohlfühlen

Man steht vor verschlossener Tür, nur damit Dritte sich wohlfühlen 840 558 Berliner Späti e.V.

Quelle: Welt.de, 03.07.2019

Berliner Spätverkaufsstellen, auch „Spätis“ genannt, müssen sonntags geschlossen bleiben. Das hat ein Verwaltungsgericht entschieden. Dabei ist die Sonntagsruhe kein Grundrecht, findet unser Autor. Ihn beschleicht ein mulmiges Gefühl.

Ein Berliner Spätkauf-Geschäft, das sonntags außer Touristenartikeln auch typische Lebensmittel für „die nähere Umgebung“, sprich die ansässige Bevölkerung anbietet, handelt illegal. So hat es das Berliner Verwaltungsgericht entschieden und zugleich verboten, wegen der Internationalen Funkausstellung ganz Berlin einen verkaufsoffenen Sonntag zu gestatten.

Denn dafür, so die Richter, muss ein stadtweiter Besucherstrom existieren. Er ist aber jenseits des Messegeländes nicht spürbar und wird „überhaupt erst durch die Offenhaltung der Verkaufsstellen ausgelöst“. Allerdings, und genau das ist das Thema.

Richter sind an geltendes Recht gebunden, das Kopfschütteln über die Urteile gilt dem Gesetzgeber. Die Attraktivität verkaufsoffener Sonntage zeigt ein Bedürfnis. Das Argument, der Messeandrang störe die Sonntagsruhe in anderen Stadtteilen nicht, gilt genauso für den Kundenverkehr im Spätkauf-Geschäft. Wo wird durch solche Einkäufe die Ruhe gestört?

Touristen, die nicht selten ziemlich lärmen, mit Andenken und „Sofortverzehr“ zu versorgen ist legal. Aber wehe, die Nachbarn möchten an heißen Sommersonntagen noch rasch eine Großpackung Eis oder einen Kasten Getränke kaufen. Wo lebt dieses Land eigentlich? Es geht weder den Staat noch die Kirchen oder Gewerkschaften etwas an, warum jemand am Sonntagmittag Eis oder Getränke benötigt.

Es gibt im Grundgesetz ausdrücklich keine Staatskirche, und es gibt auch keine Staatsgewerkschaften. Deren beider Standpunkt ist nicht identisch mit der Staatsräson. Die Sonntagsruhe ist kein Grundrecht, sondern nur indirekt durch Verweis auf die Weimarer Verfassung Teil des Grundgesetzes.

Befürworter einer begrenzten Sonntagsfreigabe mögen in der Minderheit sein. Aber der Gesetzgeber schützt auch sonst jede Minderheit. Kaufhäuser können am siebten Tag geschlossen bleiben. Einzelnen privat geführten Verkaufsstellen die Öffnung zu verbieten aber stärkt nicht die „seelische Erhebung“, die der Zweck des Ruhetags ist. Sie läuft auf den Eindruck hinaus: Man steht vor verschlossener Tür, nur damit Dritte sich wohlfühlen.

I love my Späti!

I love my Späti! 840 558 Berliner Späti e.V.

Quelle: Anja Kofbinger, Bündnis90/Die Grünen, Berlin-Neukölln, 2018

Spätis sind für die meisten Berliner*innen aus ihrem Alltag nicht mehr wegzudenken. Auch Tourist*innen freuen sich über die Möglichkeit in diesen Läden fast rund um die Uhr Waren kaufen, im Internet surfen oder telefonieren zu können. Dennoch sind viele der rund 900, meist inhaber*innengeführten Berliner Spätis in ihrer Existenz bedroht, da Ihnen eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen verwehrt bleibt.

2018: Bündnis 90/Die Grünen setzen sich für den Erhalt der Berliner Späti-Kultur ein.

Die Sonntagsöffnung von Spätverkaufsstellen („Spätis“) in Berlin ist jahrzehntelange gelebte Praxis. „Spätis“ gehören zu Berlin. Sie sind überwiegend kleine Einzelläden, die von den Besitzer*innen selbst aufgebaut und betrieben werden, also nicht von Ketten oder großen Franchiseunternehmen. Mit „Spätis“ schaffen sich Menschen eine Existenz, für die es schwer ist, auf dem Berliner Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, hier anzukommen und Arbeit zu finden. Wir wollen sie erhalten und weiterhin unterstützen, auch um den Trend zu immer konzentrierteren Strukturen im Einzelhandel zu begegnen.

Wir halten Ausnahmen für „Spätis“ und den prinzipiellen Schutz der Sonntagsschließzeiten für miteinander vereinbar und fordern daher den Senat auf, vor dem Hintergrund aktueller Rechtsprechung zur Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen zu prüfen, ob und wenn ja welche Änderungsbedarfe im Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLadÖffG) notwendig sind.

Um kneipenähnliche Ausprägungen zu regulieren, wird der Senat aufgefordert zu prüfen, inwiefern in solchen Fällen diese als gastronomische Betriebe behandelt werden.

2016/ 2017: Sonntagsöffnung von Spätis ermöglichen!

Nach mehreren Dialogtreffen zu denen meine Kollegin Susanna Kahlefeld und ich Spätkaufbetreiber*innen aus Neukölln, Vertreter*innen der IHK sowie Polizei- und Ordnungsamtsmitarbeiter*innen eingeladen hatten, haben wir nun einen Antrag an den Senat gestellt.

Wir fordern den Senat auf, die Ausführungsvorschriften zum Berliner Ladenöffnungsgesetz so zu erweitern, dass eine klare Definition von „Spätverkaufsstellen“ erstellt wird, und diesen Verkaufsstellen durch eine Ausnahmeregelung eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen genehmigt wird.

Auch eine Petition für ein Verkaufsrecht für Spätis an Sonntagen haben schon knapp 40.000 Berliner*innen unterschrieben. Es ist Zeit, dass auch SPD und CDU den Mehrwert der Spätis für Kiezkultur und Tourismus erkennen und sich für die Institution „Späti“ einsetzen!

Viele Berliner «Spätis» müssen sonntags schließen

Viele Berliner «Spätis» müssen sonntags schließen 840 558 Berliner Späti e.V.

Quelle: Berlin.de, 22.03.2016

Viele Berliner Spätverkaufsstellen müssen sonntags künftig geschlossen bleiben. Das gilt für alle Läden, die mehr als Blumen, Zeitungen, Brötchen und Milchprodukte verkaufen, wie aus einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts hervorgeht, über den die «Berliner Zeitung» am Freitag berichtete. Auch die Praxis vieler «Spätis», verbotene Waren wie Alkohol, Gemüse oder Fertigpizza mit Tüchern abzudecken, ist demnach nicht rechtens. Ein «Späti»-Betreiber aus Pankow hatte geklagt, weil er seinen Laden am 1. Mai nicht öffnen durfte. Statt einer gelockerten Regelung erreichte er das Gegenteil.

«Jeder wusste, wie dünn das Eis ist», sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands, Nils Busch-Petersen. Bislang sei die Abdeck-Praxis stillschweigend geduldet worden, obwohl die Rechtslage seit Jahren klar sei. Wer an Sonn- und Feiertagen Waren außerhalb der definierten Gruppen anbiete, verstoße gegen das Gesetz. Er könne den «Spätis» nur raten, ihre Struktur zu überdenken und sich stärker gastronomisch auszurichten, sagte Busch-Petersen.
Die Berliner Grünen-Fraktion forderte eine Änderung des Ladenschlussgesetzes, um die «Spätis» zu erhalten. Das lehnte Busch-Petersen ab – eine Änderung gefährde möglicherweise hart erkämpfte Errungenschaften wie die zehn verkaufsoffenen Sonntage.