Quelle: Welt.de, 03.07.2019
Berliner Spätverkaufsstellen, auch „Spätis“ genannt, müssen sonntags geschlossen bleiben. Das hat ein Verwaltungsgericht entschieden. Dabei ist die Sonntagsruhe kein Grundrecht, findet unser Autor. Ihn beschleicht ein mulmiges Gefühl.
Ein Berliner Spätkauf-Geschäft, das sonntags außer Touristenartikeln auch typische Lebensmittel für „die nähere Umgebung“, sprich die ansässige Bevölkerung anbietet, handelt illegal. So hat es das Berliner Verwaltungsgericht entschieden und zugleich verboten, wegen der Internationalen Funkausstellung ganz Berlin einen verkaufsoffenen Sonntag zu gestatten.
Denn dafür, so die Richter, muss ein stadtweiter Besucherstrom existieren. Er ist aber jenseits des Messegeländes nicht spürbar und wird „überhaupt erst durch die Offenhaltung der Verkaufsstellen ausgelöst“. Allerdings, und genau das ist das Thema.
Richter sind an geltendes Recht gebunden, das Kopfschütteln über die Urteile gilt dem Gesetzgeber. Die Attraktivität verkaufsoffener Sonntage zeigt ein Bedürfnis. Das Argument, der Messeandrang störe die Sonntagsruhe in anderen Stadtteilen nicht, gilt genauso für den Kundenverkehr im Spätkauf-Geschäft. Wo wird durch solche Einkäufe die Ruhe gestört?
Touristen, die nicht selten ziemlich lärmen, mit Andenken und „Sofortverzehr“ zu versorgen ist legal. Aber wehe, die Nachbarn möchten an heißen Sommersonntagen noch rasch eine Großpackung Eis oder einen Kasten Getränke kaufen. Wo lebt dieses Land eigentlich? Es geht weder den Staat noch die Kirchen oder Gewerkschaften etwas an, warum jemand am Sonntagmittag Eis oder Getränke benötigt.
Es gibt im Grundgesetz ausdrücklich keine Staatskirche, und es gibt auch keine Staatsgewerkschaften. Deren beider Standpunkt ist nicht identisch mit der Staatsräson. Die Sonntagsruhe ist kein Grundrecht, sondern nur indirekt durch Verweis auf die Weimarer Verfassung Teil des Grundgesetzes.
Befürworter einer begrenzten Sonntagsfreigabe mögen in der Minderheit sein. Aber der Gesetzgeber schützt auch sonst jede Minderheit. Kaufhäuser können am siebten Tag geschlossen bleiben. Einzelnen privat geführten Verkaufsstellen die Öffnung zu verbieten aber stärkt nicht die „seelische Erhebung“, die der Zweck des Ruhetags ist. Sie läuft auf den Eindruck hinaus: Man steht vor verschlossener Tür, nur damit Dritte sich wohlfühlen.